Freitag, 26. August 2011

Der feine Unterschied.

„Lustig ja, und völlig unsystematisch“, so charakterisiert Philip Lahm rückblickend den Trainingsstil von Rudi Völler vor und während der Europameisterschaft 2004 in Portugal. „Erschreckend, und völlig unsystematisch“ empfand es eher der gemeine Betrachter, der sich vor den Fernsehschirmen zuhause oder mit den anderen gemeinsam in Kneipen oder vor Leinwänden – die Vorläufer des Public Viewings – die Vorrunde der deutschen Nationalelf hat antun müssen. Nun muss man zugeben, dass das, was die Spieler dort abgeliefert haben, bei Leibe kein Glanzstück war. Eine Mannschaft. Nowotny, Wörns, Bobic – Fußballdeutschland hat auch schon bessere Spieler im weißen Trikot gesehen. Die einzigen beiden Tore bei diesem Turnier an der Algarve wurden von Thorsten Frings und Michael Ballack erzielt, Spieler, die nicht umsonst zwei Jahre später einen gehörigen Anteil am Sommermärchen hatten.

Die Mannschaft um Rudi Völler – der einen völlig derangierten Haufen nach der EM 2000 in einer Nacht und Nebel Aktion übernommen und bei der darauffolgenden bis in das WM-Finale von Yokohama geführt hatte – war gescheitert. Ohne mit der Wimper zu zucken und einigen Beschwichtigungsversuchen seitens Theo Zwanzigers zum Trotz, übernahm Tante Käthe die volle Verantwortung und machte mit seinem Rücktritt den Weg für einen Umbruch frei. Eine Verantwortung, die nun Philip Lahm seit der WM 2010 in der Nationalmannschaft und zu Beginn des Jahres auch bei den Bayern ebenfalls zu tragen hat – als Mannschaftskapitän, also als einer, der voran geht und führt. Von daher überraschst es sehr, dass die im Zuge der Veröffentlichung seiner Autobiographie „Der feine Unterschied“ an die Öffentlichkeit getragenen Kritiken so ungewohnt unbedacht erscheinen. Lahm ist erst 27 und vor allem noch aktiver Spieler, hinzu kommt seine Stellung beim FC Bayern und im Nationalteam unter Jogi Löw, vor allem aber seine Darstellung innerhalb der Gesellschaft als „Schwiegermutters Liebling“ und „everybody’s Darling“. Also ein wohlerzogener Mann ohne Ecken und Kanten. Mal ganz davon abgesehen, was man von Biographien von Profifußballern zu halten hat, erscheinen die Aussagen unangebracht und unpassend. Wie man als aktiver Sportler durch eine Autobiographie selbst seinen eigenen Abpfiff herbeiführen kann, ist nicht zuletzt seit Toni Schumacher bekannt. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass einer, der sich Leithammel schimpft und diesen Status auch stets eingefordert hat, sich so gehen lässt und Interna ausplaudert. Keine Interna, die schon 30 Jahre zurückliegen und die dem Zuhörer eher ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern, sondern Dinge, die noch aktive Trainer, Mannschaften und laufende Prozesse betreffen.

Rudi Völler hatte trotz aller Verdienste um den deutschen Fußball – egal ob als Aktiver oder Teammanager – abgewirtschaftet. Dies lag wahrscheinlich nicht zuletzt an dem ihm zur Verfügung stehenden Spielermaterial. Jetzt war Philip Lahm zu diesem Zeitpunkt ein Frischling im Team und aufgrund dessen wohl auch nicht in der Lage, negative Dinge vor versammelter Mannschaft anzusprechen oder gar dem Trainer direkt selbst zu äußern. Zwar mag die Kritik an Tante Käthe nicht schön sein, sie ist aber durch den „Jungspundbonus“ wohl noch zu rechtfertigen. Schwieriger wird es aber bei den zum Teil harschen Äußerungen der weiteren Trainer. Grundsätzlich sollten Interna nie ungefiltert an die Öffentlichkeit geraten – dies gebietet sich schon aufgrund der Definition und des Anstandes. Dass Philip Lahm in vielen Dingen Recht hat, fällt hier gar nicht so ins Gewicht. Denn das, was er über Jürgen Klinsmann und Louis van Gaal zu berichten weiß, wusste jeder der 82 Millionen Bundestrainer schon längst. Nun fallen diese beiden Trainer aber in eine Phase von Lahms Karriere, in der er schon ein bereits gestandener und anerkannter Spieler war. Ein Spieler, auf den andere hörten. Und von daher enttäuscht es dann nur umso mehr, dass diese Themen von ihm, gerade bei den Bayern und vor allem unter gemutmaßter 100%-Protektion von Uli Hoeneß, nicht „intern“ angesprochen wurden. Dass eine Verbreitung von Vorabauszügen in der größten deutschen Tageszeitung BILD natürlich mit dem Hinblick auf die Steigerung der Auflage forciert wird, ist nicht überraschend. Sie trug aber dazu bei, viele Themen – die so auf der Startseite von bild.de plakativ verbreitet werden konnten – vielleicht aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Das ändert aber nichts an den „taktischen Schwächen“ Lahms im Umgang mit seinen Äußerungen. Wobei die Frage ruhig gestellt werden darf, warum man sich in der Blüte seiner Fußballkarriere mit 27 Jahren schon autobiographisch ein Denkmal setzen muss. Vielleicht kann diese Frage Bastian Schweinsteiger – vor Ewigkeiten auch als Schweini bekannt – beantworten. Auch der ist Spieler beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft. Er vermag vielleicht nicht dieselbe hohe Telegenität wie ein Philip Lahm zu besitzen, scheint aber auch gerade durch seine persönliche Entwicklung in den letzten beiden Jahren einen „feinen Unterschied“ reifer. Macht doch Schweinsteiger zum Kapitän – „lustig ja, und systematisch auch!“.

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