Donnerstag, 13. Oktober 2011

Der Wolf im Schafspelz.


"Wir waren kurz weg, jetzt sind wir wieder da" frohlockte es von der Anzeigentafel und Michael Oenning tänzelte nahezu überschwänglich über die Tartan-Bahn. Man merkt schnell, dass dies keine Szene vom 6. Spieltag dieser Saison in Hamburg sein kann, sondern der Moment schon mehr als zwei Jahre zurück liegen muss und womöglich mehr als 600 km weiter südlich stattgefunden hat - Nürnberg statt Hamburg, Franken statt Waterkant, Aufstieg statt des lethargischen "Kampfes" gegen den Abstieg.

Nun hat auch ein Michael Oenning wieder mehr Zeit, um Neues zu entdecken und sich zum Beispiel mit den sozialen Medien der Neuzeit tiefergehender vertraut zu machen. HSV und Oenning ist schon genauso seit einiger Zeit Geschichte, wie die Mär' von einem stabilen Euro-Raum. Rodolfo Esteban Cardoso wurde aus der zweiten Mannschaft der Rothosen herangeholt und nahtlos als Interimstrainer eingesetzt. Ein Vorgang der in Fußball-Deutschland nichts Außergewöhnliches mehr darstellt und meistens dazu führt, dass aus der Zwischenlösung ein dauerhafter Zustand wird. Thomas Doll ging genau diesen Weg dort schon eine paar Jahre zuvor - mit dem Unterschied ein ausgebildeter Fußballlehrer zu sein. Eben diesem Umstand, dass Doll die Lizenz hatte und Cardoso eben nicht, ist es geschuldet, dass der HSV jetzt in der Situation steckte, in der er steckte.

Der Bundesliga-Dino aus Hamburg und der Umgang mit seinen Verantwortlichen für den sportlichen Bereich ist seit jeher eine Erfolgsgeschichte. In einer Zeit, in der vermehrt Konzepttrainer gesucht werden und es vigiles wie Peter Neururer, Wolfgang Wolf & Co. immer schwerer gemacht wird, auf dem Trainerkarussell einen Platz zum Mitreisen zu finden, ging der HSV den sozialen Hamburger Weg. Die "absoluten Wunschtrainer" wurden mit mittelfristigen Verträgen ausgestattet und schon oft kurze Zeit später wieder vom Hof gejagt oder verließen diesen gar freiwillig. Eine Absicherung bis zum nächsten - sehr unsicheren - Engagement war aber vorhanden und man hatte ja einen Vertrag. Summa summarum hatte der Hamburger SV in den letzten zehn Jahren nur knapp weniger Trainer als Tiger Woods Gespielinnen, bloß mit dem feinen Unterschied, dass einzig an der Elbe die Höhepunkte ausgeblieben sind.

Man sollte Trainern mithin Zeit geben, sich und die Mannschaft zur Entfaltung zu bringen, um mittelfristig Erfolge erzielen zu können. Nichtsdestotrotz war das Projekt Oenning bereits nach wenigen Spielen der aktuellen Saison ohnehin zum Scheitern verurteilt. Die Vorzeichen standen bereits zu Saisonbeginn schlecht und fünf chelsea-children allein garantieren auch nicht ausschließlich den Erfolg. Vielmehr ist die Demission Oennings klar mit den Früchten seines Schaffens in Zusammenhang zu bringen. Davon waren explizit so viele vorhanden, dass selbst ein Veganer Müh' und Not gehabt hätte, für eine ausreichende Ernährung zu sorgen. Nicht einmal ein zarter Trieb war erkennbar, der Aussicht auf mehr hätte geben können. Von den möglichen Fleischtöpfen Internationales Geschäft ganz zu schweigen (wobei man fairerweise sagen muss, dass diese von den Vereinsverantwortlichen auch nicht erwartet werden konnten und auch nicht wurden). Eine Mannschaft, die nicht Fußball spielen will und nicht spielen kann, muss erreicht werden, erreicht vom Trainer. Gelingt dies dem Verantwortlichen nicht, dann muss er gehen - auch dann, wenn die Mannschaft bewusst gegen ihren Übungsleiter spielt. Da tun sich zwar Abgründe der fußballerisch-menschlichen Seele auf, sie soll es so in dieser Form geben. Ein kompletter Mannschaftsaustausch à la Nürnberg '69 ist heute kaum mehr denkbar und könnte im Bundesgebiet monetär noch nicht einmal vom VfL Wolfsburg gestemmt werden, wobei die ein oder andere Kaderplanungsmaßnahme darauf schließen lassen könnte. Die Mechanismen des Wettbewerbs griffen und so hieß es schlussendlich, wie es (dank Sonja Zietlow) heißen musste: "Michael, du bist der Schwächste, du fliegst und tschüss!".

In Folge dessen befand sich der HSV auf der Suche nach einem neuen Trainer. Pelu Cardoso hatte in Stuttgart überzeugt und sowohl die Mannschaft als auch die Zuschauer begeistern können. Gegen Schalke fehlte, trotz sehr ansprechender Leistung, das Glück und ihm leider der nötige Lappen, um sich Fußballlehrer nennen und folglich weitermachen zu dürfen. Aber furios frank ließ sich nicht lange lumpen und widerstand den kleinen Lösungen Louis van Gaal, Marco van Basten, Pep Guardiloa und José Mourinho ad hoc. Ungeachtet des zeitlichen Drucks schockierten ihn auch nicht die überraschenden und kurzfristigen Absagen der heiligen drei Könige des deutschen Fußballvereinstrainertums - Peter Neururer, Lothar Matthäus und Ewald Lienen. Ihm war es auch nicht möglich gewesen, Holger Fach aus Astana oder gar Eckhardt Krautzun als Berater der chinesischen Frauennationalmannschaft loszueisen und erst recht nicht Horst Ehrmanntraut zu einem gefeierten Comeback zu überreden. Was ließ den Mann, auf den sich alle Augen richteten und der nicht dafür verantwortlich gemacht werden möchte, dass die Bundesliga-Uhr in der {BITTE_AKTUELLEN_SPONSORNAMEN_EINTRAGEN}-Arena abgehängt werden muss, die Fassung wahren? Einzig und allein die Tatsache, dass er den besten HSV-Trainer seit Ernst Happel schon längst gefunden hatte. Sich selbst! Aber nur solange, bis ein Neuer kommt! Und wenn man ehrlich ist, würde so ein Neuer gut nach Hamburg passen und endlich Drobný ablösen. Aber das ist ein anderes Thema und nun zurück zum Text. Der doppelte Arnesen, eine Schizophrenie, wie man sie in Deutschland sonst nur aus Wolfsburg kennt, die aber auf der Insel seit Jahrzehnten längst schnöder Alltag geworden ist. Man lernt halt nicht fürs Leben, sondern bei Chelsea, oder so ähnlich.

Leider war von vornherein klar, dass das Duo Frank & Frank - zumindest in funktioneller Form für den HSV - wieder keine Lösung für die Ewigkeit darstellen würde (eventuelle Ambitionen in der volkstümlichen Musik bleiben hier aus Zeit- und Platzgründen unbeachtet). Vielmehr diente dieser Umstand einfach nur dem Erfordernis, den DFB-Statuten gerecht zu werden und (nach einer gewissen Karenzzeit) einen Trainer mit Lizenz an die Seitenlinie zu stellen. Somit steht Frank auf dem Platz, macht gute Miene zum bösen Spiel, gibt Interviews und staucht ab und an pfeifenderweise und wild gestikulierend David Jarolím zusammen, um ihn zu mehr Elan im Alter aufzufordern. Ein schwieriges Unterfangen, dass ist ihm wohl bewusst. Derweil werkelt wie gehabt Waylon Smithers alias Rodolfo Esteban Cardoso im Hintergrund, zieht die Strippen und bereitet die Mannschaft auf die nächste Partie gegen Freiburg vor. Und das alles nur, bis ein neuer Trainer ankommt, ein neuer mit Lizenz.

"Nachtigall ick' hör dir trapsen"! Metaphorisch korrekt, wörtlich trifft es das nicht ganz. Der neue wird zwar keine Nachtigall sein, aber trotzdem nach Hamburg geflogen kommen und das schon bald, mitten in der Hinrunde. Thorsten Fink heißt der gute Mann und hatte beim FC Basel noch einen Kontrakt bis 2013. Ein Umstand, der keinen so recht stört, weder FC Basel Club-Boss Heussler selbst, noch Uli Hoeneß. Genau der Uli Hoeneß, der Dieter Hecking vor fünf Jahren bei seinem Wechsel von Aachen zu Hannover nach wenigen Spieltagen in einer noch jungen Saison dreiste, monetäre Absichten unterstellte, ist jetzt ruhig. Dies hängt wahrscheinlich mit der Tatsache zusammen, dass Fink ein verdienter Bayern-Spieler war und die eventuelle Misslage, in der sich der schweizer CL-Teilnehmer Basel so bugsiert, in der Bundesrepublik eher neutral aufgenommen wird. Denn in der Endphase der letzten Saison sah das ganz anders aus. Die Schlagzeilen in den Gazetten wurden davon bestimmt, dass Felix Magath - der wenige Tage zuvor noch eine königsblaue Krawatte trug - nun Tage später mit grün-weißer Krawatte gegen seinen Ex-Club und seinen Intimfeind Ralf Ragnick (der zur Winterpause Hoffenheim geschasst wurde) antritt. Das Duell zweier Trainer, die in derselben Saison schon bei anderen Vereinen auf der pay-roll standen und losgelöst von irgendwelchen Transferfenstern und Fristen munter in der Saison die Vereine wechselten, rief damals diejenigen altruistischen Weltverbesserer auf den Plan, die für mehr Gerechtigkeit im Fußball und Transferperioden auch für Trainer plädierten. Dessen ungeachtet geht es dem Doppelpass auch im Jahr eins nach Udo Lattek immer noch ganz gut.

Dass Thorsten Fink zu 100% neuer Trainer beim Hamburger Sportverein wird, pfeifen nicht nur die Spatzen schon überall von den Dächern, sondern ab Montag ist es fix, bild.de sei Dank! Auch die etwas wirren Umstände, unter denen dieser Transfer zustande kam, werden in den nächsten Tagen wohl noch einmal besprochen werden. Spätestens dann, wenn es am Sonntag um 11:00h bei Wonti wieder heißt "Hoch die Tassen!".

Wontorra, Wontorra, da war doch was. Der Jörg Wontorra, der vier Jahre lang im Aufsichtrat von Werder Bremen saß und kürzlich in der Bild behauptete, nur leichte Sympathien für diesen Verein zu hegen. So sieht also unabhängiger Journalismus aus. Aber vielmehr interessiert jenes, was ungefähr 100 km weiter südwestlich und 15 Tabellenplätze weiter oben geschieht. Dort, wo man zu dieser Zeit als Hamburger nicht gerne hinschaut - und ich bin mir recht sicher auch sonst nicht, da läuft es ganz anders. Wir schauen in das Reich von König Klaus und seinem Gefolge. Dort, wo man dieselbe Konstanz an den Tag legt wie in Hamburg, nur anders. An der Weser hat man es geschafft, in den letzten zehn Jahren gefühlt gerade einmal 0,7 Trainer zu verschleißen, und damit bewiesen, dass es möglich ist, auch in schwierigen Zeiten an einem Übungsleiter festzuhalten. Wozu das führt, ist aktuell wieder zu sehen und lässt sich im Rückblick noch deutlicher erkennen - 1x Meister, 2x DFB-Pokal gegen...ach lassen wir den Vergleich. Vielleicht schafft man es in Hamburg nun mit der neuen sportlichen Führung und dem neuen Cheftrainer, ebenfalls etwas aufzubauen und Konstanz durch Stetigkeit zu etablieren - und nicht durch stetig neue Trainerwechsel. Zu wünschen wäre es und vielleicht wandelt man bald auch auf den Spuren des Rivalen - auch wenn man das an der Elbe nicht gerne hört - und schafft so etwas wie eine Institution: Ein Fink im Schaafspelz.